Sherlock Holmes – der Meister der Deduktion – beratender Detektiv – Herr der Verwirrspiels. Doch er ist tot; seit dem 4. Mai 1891. In beinahe unzähligen Kurzgeschichten und einer Hand voll Romanen hat der irische Autor Arthur Conan Doyle seinen (Anti-)Helden durch die Welt geschickt. Immer war er einer heißen Spur auf der Fährte. Immer beherrschte er die Situation. Doch genau wie Holmes seinen Meister in Moriarty gefunden hatte, fand Conan Doyle irgendwann seinen Meister in seiner eigenen Figur. 1893 war es genug für den Autoren. Viel lieber hätte er seine Zeit mit dem Schreiben historischer Romane verbracht und schrieb Holmes-Geschichten beinahe nur noch aus finanziellen Gründen. So kam der Plan, mit Holmes Tod die Reihe abzuschließen. Sogar Conan Doyles Mutter soll protestiert haben, doch im Dezember 1893, am Tag der Veröffentlichung des “Reichenbachfalls”, notierte der irische Autor in seinem Tagebuch: “Killed Holmes”. 1896 verteidigte er die Entscheidung mit den Worten: “If I had not killed him, he certainly would have killed me.”
1901 war es doch dann soweit. Conan Doyle gab dem drängen seiner Leser und deren (Droh-)Briefen nach. Mit “The Hound of the Baskervilles” erblickte Sherlock Holmes erneut das Licht der Welt. Alles nur vorgetäuscht? Glück soll er gehabt haben.
Doch wir befassen uns hier nicht mit der klassischen Geschichte des Sherlock Holmes. Wir vergessen einfach mal, dass es sich hier um Fiktion handelt und fragen: Was passierte in der Zwischenzeit? Eine Antwort darauf, oder zumindest den Weg dorthin, finden wir in einem ganz anderen Medium; nämlich im Comic. In der Graphic Novel “Holmes (1854–†1891?) – Sherlock Holmes: die wahre Geschichte” zeigen uns Autor Luc Brunschwig und Zeichner Cécil wie sich Dr. Watson auf die Suche nach seinem Freund und Weggefährten macht. Der erste Band des Zweiteilers “Abschied von der Baker Street” erzählt uns die Geschichte der Verwüstung der Baker Street 221B, die von Mycroft (Holmes Bruder) initiiert wurde um von der Drogensucht des beratenden Detektivs abzulenken und alle Spuren zu verwischen.
Zur Geschichte:
Mycroft ist der Überzeugung, sein Bruder habe Suizid begangen um seinen geistigen Verfall, der der Opiumsucht geschuldet sein soll, zu stoppen. Doch Watson ist nicht bereit, diese Version der Geschichte zu glauben und tut das, was sein Arbeitgeber getan hätte: Er nimmt sich des Falles an und stellt eigene Untersuchungen an. Es beginnt eine verrückte Reise durch ganz Europa auf der Spur einer geheimnisumwobenen (Roman-)Figur und dessen Familie.
Gespühr für die Situation
Athmosphärisch hat dieses verwirrende Meisterwerk einer Bildergeschichte so einiges zu bieten. Schon allein die halb-monochromen Zeichnungen des Franzosen Cécil, die sich, je nach Kapitel, an einer Farbe orientieren, lassen einen die Gänsehaut im Nacken aufsteigen. Die Texte der Sprechblasen könnten von Conan Doyle selbst sein und sind gleichzeitig in Anzahl und Umfang perfekt. Keine Sekunde kommt Langeweile auf. Kein Blick wandert ab von den Bildern und Texten, hin zur Seitenzahl. Obwohl man sich manchmal an der Nase herumgeführt fühlt und das große Verwirrspiel nicht so ganz verstehen mag, wünscht man sich doch die ganze Zeit, dass dieser Comic-Band nie enden würde.
Dazu kommt die Ausstattung:
Neben dem hochwertigen Papier, dem extrem sauberen Druck (als Comic-Fan ist man ja Leid gewohnt) kommt ein Format, dass einer Graphic Novel (endlich) mal gerecht wird. Diese filigranen Zeichnungen werden nicht gemacht um dann in ihrer Winzigkeit übersehen zu werden und dass hat man hier einmal verstanden. Auch wenn das Format mit 23 x 35 cm so groß ist, dass das Buch nur auf und nicht in meinem Bücherregal Platz gefunden hat, freue ich mich, hier ein wirklich tolles Exemplar in den Händen zu halten.
Für jeden, der entweder (wie ich) schon seit seiner Kindheit Fan des britischen Detektivs ist oder einfach nur auf der Welle der neuen Holmes-Ära (mit BBC-Sherlock, Downey-Jr.-Holmes oder Elementary) mitschwimmt, ist dieser Band eine Herzensangelegenheit. Solltet ihr jedoch einfach nur Comic-Fan sein und wollt es genießen, einmal eine großformatige Graphic Novel mit tollen Bildern zu lesen, dann wühlt euch erst durch den Wikipedia-Artikel und startet dann. Egal wie: Lesen ist hier Pflicht (und Ehrensache).
Eine Kleinigkeit noch:
Als ich den Band das erste Mal aufschlug viel mit auf, dass die deutsche Übersetzung des Buches aus dem Französischen von Edmund Jacoby vorgenommen wurde. Der Name kam mir bekannt vor und das Verlagslogo zeigte mir auch woher: Verlagshaus Jacoby & Stuart GmbH. Das zeigt also, auch für den Verlag scheint dieses Werk eine Herzensangelegenheit zu sein, denn hier war Übersetzung Chefsache.
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Bildrechte: (c) Verlagshaus Jacoby & Stuart GmbH