Oh meine Freunde, ihr wisst nicht, was Horror ist. Menschen fressende Zombies? Pah. Japanische Geistermädchen? Hör mir auf. Dämonen aus dem neunten Kreis der Hölle? Alles schon gesehen. Nein, der Horror, der wahre Horror… ist das Medizinwesen des 19. Jahrhunderts. Rückschrittlich genug, dass der Tod auf dem Operationstisch eher die Regel als die Ausnahme darstellt – intelligent genug, um es besser zu wissen. Wem bei dem Gedanken einer blutigen, tödlichen Kaiserschnitt-Operation das Wasser im Mund zusammenläuft… der sollte mal professionelle Hilfe suchen. Für alle anderen gibt’s The Knick, die neue Drama-Serie vom US-Sender Cinemax.

Der wunderbare Clive Owen spielt den brillanten Chirurgen eines Krankenhauses im New York des Jahres 1900. Die Patientensterblichkeit geht zwar nach wie vor durch’s Dach, aber Dr. Owen versucht sein Bestes, diesem Problem Herr zu werden, mit Geschick, Innovation und viel Kreativität. Die Kehrseite der Münze: Er ist außerdem ein elendiger Rassist, dem Kokain verfallen und ganz allgemein ein ziemlicher Mistkerl.

Moment, schon wieder so ein Déja Vu… drogenabhängiger, misanthropischer Superarzt, das hatten wir doch schon bei House (wenn auch nicht im historischen Setting). Und auch Sherlock und Konsorten sind diesem Konzept nicht ganz fern. Aber nein nein, Clive Owen ist in dieser Serie nicht der Sprüche klopfende, freche, aber dennoch irgendwie liebenswürdige Tunichtgut, dem man ja irgendwie doch nicht böse sein kann. Nein, er ist einfach nur ein Schwein.

© Cinemax
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Das macht die Serie aber gerade so interessant. Sie nistet sich ein in eine Umwelt, in der Rassismus und Scharlatanerie an der Tagesordnung sind und die moralisch tugendhaften Menschen eher wie Witzfiguren wirken. The Knick versucht, nichts zu verharmlosen. Daraus resultiert bereits nach der ersten Folge eine Bande interessanter Charaktere, von denen keiner so Recht den Mantel des Sympathieträgers anlegen will… und das ist gut so. Besonderes Highlight: der schroffe Ambulanzfahrer Cleary (Chris Sullivan), der den anderen Krankenhäusern wenn nötig auch mit dem Gesetz des Baseballschlägers die Patienten vor der Nase wegschnappt.

The Knick besticht also mit interessanten Figuren, einem spannenden Setting und grandioser Cinematographie von Steven Soderbergh – ach ja, hatte ich schon erwähnt, dass Steven “die Spannung bringt mich um” Soderbergh hier durchgängig Regie führt und auch als Executive Producer mit am Hebel sitzt? Als wenn ich noch ein Argument gebraucht hätte, diese Serie dick und fett auf die Empfehlungsliste zu schreiben.

Aber auch The Knick kommt nicht ganz ohne Makel davon. Zunächst einmal haben wir es hier mit einem sehr langsam köchelnden Drama zu tun, das Adrenalin erreicht eher im Operationssaal seine oberen Grenzen. Da kommt aber schon das nächste Problem: Die Chirurgie des 19. und angehenden 20. Jahrhunderts ist nichts für schwache Nerven. Selbst für die, die sich durch The Walking Dead oder Game of Thrones gestählt fühlen, könnte die klinische Kälte, mit der hier Patienten entweidet werden, schnell den Kragen eng werden lassen. Die Bilder vermissen sowohl die künstlerische Verspieltheit, die man etwa aus Hannibal gewohnt ist, als auch die überdrehte Brutalität der zuvor genannten Kandidaten. Es ist abgekapselt von Emotion und Schockfaktor, einfach nur blutig, warm, dickflüssig sprudelnd.
Größter Kritikpunkt an der Serie aber: die Musik. Mit dem Soundtrack steht und fällt ein Programm (ein Thema, das seinen eigenen Artikel verdient). Bei The Knick hat man sich für anachronistische Elektro-Untermalung entschieden, das Resultat mag aber nicht so recht überzeugen. Für eine Serie, die so sehr versucht, sein Setting authentisch und realistisch herüberzubringen, wirkt diese Musik einfach fehlplatziert, auch wenn sie für sich genommen prinzipiell nicht schlecht ist.

All das schlägt aber nur kleine Kerben in die ansonsten fein polierte, blutbespritzte Bronzeplakette von Soderberghs The Knick. Für Drama-Fans, angehende Mediziner und interessierte Laien, Hobby-Historiker oder ganz einfach Clive-Owen-Fans ist diese Serie wärmstens zu empfehlen.

The Knick wird in den USA auf Cinemax übertragen und läuft dort seit etwas mehr als einem Monat. Der deutsche TV-Anbieter Sky zeigt jeweils kurz nach US-Premiere die neuen Folgen im Originalton auch für hiesige Zuschauer. Im November soll die Serie auch in Synchronfassung über unsere Bildschirme laufen, genauere Terminangaben gibt es dazu jedoch noch nicht.

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