Kennern wird der Name Damon Lindelof einen bittersüßen Schauer über den Rücken laufen lassen. Lindelof ist bekannt für Geschichten mit unglaublich einnehmenden Geheimnissen, spannenden Mysterien, dramatischen Charakteren mit verstörenden Gefühlswelten. Er ist aber auch bekannt dafür, Geheimnisse nicht aufzudecken, Mysterien nicht zu erklären und Charakterstories mitunter ins Leere laufen zu lassen. Für diejenigen, bei denen die Glocke noch immer nicht geläutet hat: Damon Lindelof war das Mastermind hinter Lost, der Hitserie, deren Finale ihrer gesamten Fangemeinde kollektiv in den Arsch getreten hat. Oder nein, ein besserer Vergleich wäre eigentlich: ein Finale, das seiner Fangemeinde einen Arschtritt angekündigt hat, dann aber stattdessen ganz einfach wortlos gegangen ist und alle im Regen hat stehen lassen.
Aber wir sind nicht hier, um über Lost zu reden, nein. Herr Lindelof hat uns nämlich überraschend ein neues Gebräu aus seinem mentalen Zapfhahn vorgesetzt – eine Serie, die zwar sehr viel leiser auf die Bühne getreten ist als der Flugzeugabsturz seines vorigen Werkes, aber einen großen Teil der Attraktivität, und der Probleme, seines Vorgängers geerbt hat.
The Leftovers ist am 29. Juni in den USA auf dem goldenen Sender HBO in die Startlöcher gegangen. Vergangenen Sonntag lief nach insgesamt 10 Episoden das Finale der ersten Staffel über die amerikanischen Flimmerkisten. Am 24. Oktober traut sich die Serie auf dem Sender Sky Atlantic HD auch den deutschen Zuschauern unter die Augen… doch was haben diese Augen zu erwarten?
An einem unscheinbaren Herbsttag verschwinden plötzlich, ohne Vorwarnung und ohne jegliche Spur zu hinterlassen, 2% der gesamten Weltbevölkerung. 3 Jahre später haben weder die Religionen der Welt noch die internationale Wissenschaftlergemeinde auch nur die leiseste Ahnung, was passiert sein könnte. Wo sind diese unzähligen Millionen von Menschen hin? Und warum? Kommen sie jemals wieder? Fragen, mit denen sich auch die Bewohner der beschaulichen Kleinstadt Mapleton, New York, tagein tagaus beschäftigen. Einige, wie Polizeichef Kevin Garvey (Justin Theroux), versuchen einfach nur ihre Arbeit zu machen. Andere, wie die perspektivlose Laurie (Amy Brenneman), schließen sich einem der vielen merkwürdigen Kulte an, die sich im Nachspiel der sogenannten “Departure”, also der “Abreise”, gegründet haben. Aber ein paar Dinge haben sie alle gemeinsam: Ungewissheit, Angst und Verzweiflung.
Eines muss klar sein: The Leftovers ist definitiv keine Wohlfühlserie, alles andere als das. Die Zuschauer müssen sich auf eine Berg-und-Tal-Fahrt einstellen, in der so gut wie jede Figur ernst und niedergeschlagen ist… kaum Berg, viel Tal also. Bereits diese Tatsache mag den einen oder anderen schon abschrecken, doch glaubt mir, wenn ich euch sage: Ihr habt noch nie so mitreißende Niedergeschlagenheit gesehen. Jeder einzelne Schauspieler macht seine Arbeit hier wirklich hervorragend, von den bereits genannten Protagonisten bis hin zu den vielen, jeweils auf ihre eigene Art interessanten Nebenfiguren – darunter auch einige bekannte Namen wie Liv Tyler (Herr der Ringe) und Christopher Eccleston (Dr. Who) auf der Liste.
The Leftovers ist ein Drama, und macht seine Arbeit in diesem Genre bereits sehr gut. Es tastet sich aber auch immer wieder an die Grenzen des Übernatürlichen, des Thriller-Mystery und Theologie-Sci-Fi. Die Serie bietet somit für vielerlei Publikum einen Leckerbissen. Dennoch ist sie definitiv nicht vorbehaltlos jedem zu empfehlen und könnte einige erwartungsvolle Fans frustriert oder sogar verärgert zurücklassen.
Denn die Schneide des Mystery-Messers ist in beide Richtungen geschärft. Es kann sehr sehr aufregend sein, mit vollkommen unerklärlichen und unerklärten Geschehnissen konfrontiert zu werden, zu denen man als Zuschauer genau so wenig Ahnung hat wie die Figuren auf der Leinwand. Für mich persönlich ist dieser Aspekt der Serie beispielsweise die treibende Kraft, die mich schon sehnsüchtig auf die zweite Staffel warten lässt. Wer jedoch so wahnsinnig und vollkommen irre ist, tatsächlich Antworten auf die Fragen zu erwarten, von denen er zuvor mit voller Dampfkraft überrollt wurde, der kann leider lange warten. The Leftovers lässt sich Zeit, viel Zeit mit der Aufklärung seiner vielen Enigmas – (markieren, um Spoiler zu sehen) so viel Zeit, dass auch nach den ersten 10 Episoden keine einzige Erleuchtung in Sicht ist. (Spoiler Ende)
Wer damit klar kommt, sich beim Gucken dieser Serie ein bisschen wie ein Fisch an einer viel zu langen Angelschnur zu fühlen, den erwartet mit The Leftovers ein ziemlich eigenes, einzigartiges und vollkommen mitreißendes Mystery-Drama, das nicht müde wird, seine Fans mit jeder Episode auf’s Neue zu überraschen und zu beeindrucken.
Die komplette erste Staffel lässt sich On-Demand in der US-Fernsehversion anschauen. In Deutschland prämiert die erste Folge am 24. Oktober auf Sky Atlantic HD.
Wer das Ganze abkürzen will und sich schon einmal einen Überblick über den Handlungsverlauf der ersten Staffel verschaffen möchte, der kann auch den Roman von Tom Perrotta lesen, auf dem diese Serie basiert.
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