In unserer neuen Reihe „Souvenir“ wollen wir auf verschiedene typische und untypische Souvernirs von unseren Reisen eingehen. Dabei wollen wir die Geschichte hinter dem Produkt erzählen, erklären, warum es sich um ein gutes Souvenir handelt und Tipps geben, wo man das Produkt erstehen kann. Wir fangen mit etwas an, dass wir beide aus unserer Kindheit noch kennen, da es in jedem Gartenhäuschen ehemaliger DDR-Bürger noch heute zu finden ist und gleichzeitig viel über Menschen und Wirtschaft erzählt: Das SUPERFEST Glas aus der ehemaligen DDR.

Ihr kennt das: Man ist irgendwo unterwegs, betritt eine kleine Kneipe abseits der ausgetretenen Touristenpfade und merkt sofort – hier ticken die Uhren anders. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen zum Nachdenken bringen. Ein Bierglas zum Beispiel. Dünnwandig, schlicht, aber irgendwie… anders. Wer aufmerksam durch Mittel- und Ostdeutschland reist, kann noch heute auf ein faszinierendes Relikt aus einer anderen Zeit stoßen: SUPERFEST-Gläser aus der DDR.

Von Fotograf Michael Ernst, User: Mernst1806 – Michael Ernst, User: Mernst1806, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=97265740

Diese unscheinbaren Trinkgläser erzählen eine Geschichte, die weit über Bier und Brause hinausgeht. Sie zeigen uns, wie unterschiedlich Ansprüche sein können, wenn das Staatssystem ein anderes ist. Etwas, was wir auch heute nur lernen können, wenn wir reisen und auf Fremde zugehen.

Wenn Mangel zur Tugend wird

In den 1970er Jahren hatte die DDR ein Problem: Es fehlten Gläser. Nicht nur ein paar Stück, sondern es gab einen richtig massiven Engpass. Während im Westen das Wirtschaftswunder brummte und Konsumgüter in Hülle und Fülle verfügbar waren, kämpfte der Osten mit chronischer Knappheit. Aber anstatt aufzugeben, machten die Ostdeutschen aus der Not eine Innovation.1

1977 meldete ein Team um den Wissenschaftler Dieter Patzig ein Patent an, das die Glaswelt revolutionieren sollte. Das Prinzip war genial einfach: Durch Ionenaustausch wurden kleine Natrium-Ionen in der Glasoberfläche durch größere Kalium-Ionen ersetzt. Das erzeugte eine Druckspannung, die das Glas extrem widerstandsfähig machte.

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Das Glas, das zu gut war

Die Ergebnisse waren spektakulär: Angestrebt war die fünffache Lebensdauer eines gewöhnlichen Trinkglases, erreicht wurde die 15-fache! Die SUPERFEST-Gläser (bis 1980 noch „Ceverit“ genannt) waren hitzebeständig, stapelbar und trotz ihrer Festigkeit federleicht.

Von 1980 bis 1990 ratterten im VEB Sachsenglas Schwepnitz etwa 115 Millionen SUPERFEST-Gläser vom Band. Sie standen in jeder DDR-Gaststätte, fuhren in Mitropa-Speisewagen mit und überlebten fast jeden Sturz. Für die ressourcenarme DDR war das ein Segen – einmal gekauft, hielten diese Gläser praktisch ewig.2

Doch genau das wurde ihnen nach der Wende zum Verhängnis.

Die Ironie der Marktwirtschaft

Als die DDR versuchte, ihre SUPERFEST-Gläser im Westen zu verkaufen, erlebten sie eine bittere Lektion über unterschiedliche Wirtschaftssysteme. Der westdeutsche Handelsvertreter Eberhard Pook war begeistert von der Qualität und sicher, diese revolutionären Gläser problemlos verkaufen zu können.

Doch die Reaktionen waren ernüchternd: „Bei Coca-Cola zum Beispiel hieß es: Warum sollen wir ein Glas nehmen, das nicht kaputtgeht? Wir verdienen Geld mit unseren Gläsern“, berichtete Pook. Die Händler fragten: „Wer sägt schon den Ast ab, auf dem er sitzt?“3

Das DDR-System hatte ein Produkt geschaffen, das perfekt zu seinen Bedürfnissen passte – aber völlig ungeeignet für eine Marktwirtschaft war, die von geplantem Verschleiß lebt.

Renaissance einer vergessenen Innovation

Was damals als unwirtschaftlich galt, erlebt heute eine bemerkenswerte Renaissance. Das Berliner Unternehmen Soulbottles, das seit über einem Jahrzehnt nachhaltige Glastrinkflaschen herstellt, hat die DDR-Technologie wiederentdeckt und weiterentwickelt.4

Seit 2021 forscht das Unternehmen gemeinsam mit der Universität Bayreuth an einer Neuauflage des SUPERFEST-Verfahrens. Das Ergebnis: ULTRAGLAS – Flaschen, die 2 bis 12-mal fester sind als herkömmliches Glas und dabei leichter.

Der entscheidende Durchbruch gelang den Forschern bei der Verfahrensoptimierung: Während die DDR-Gläser bis zu 36 Stunden behandelt werden mussten, dauert der neue Prozess nur noch 3 bis 4 Minuten. „Damit sind wir in einem Bereich, wo es für Anlagenbauer interessant wird, massentaugliche Produkte herzustellen“, erklärt Professor Thorsten Gerdes von der Uni Bayreuth.5

2023 startete Soulbottles eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne zur Finanzierung der Produktion. Die „Ultrinity“-Flaschen, wie sie nun heißen, sind mittlerweile in der Auslieferung, allerdings gerade komplett vergriffen. Was in der DDR aus der Not geboren wurde, wird heute zum Symbol für nachhaltige Innovation.6

Ein Mitbringsel mit Geschichte

Heute sind SUPERFEST-Gläser begehrte Sammlerobjekte und ein wunderbares Mitbringsel aus Mittel- und Ostdeutschland. Wer aufmerksam durch die Region reist, kann sie noch entdecken:

Wo ihr SUPERFEST-Gläser offline finden könnt:

  • Ostdeutsche Flohmärkte: Besonders auf den großen Märkten in Dresden, Leipzig oder Berlin findet ihr immer wieder Händler, die alte DDR-Bestände verkaufen
  • Antiquitätenhändler: Spezialisierte Vintage-Läden in Ostdeutschland haben oft SUPERFEST-Gläser im Sortiment
  • Gaststätten: Viele Restaurants und Kneipen in Ostdeutschland nutzen ihre alten SUPERFEST-Bestände noch heute. Einfach mal nachfragen – manchmal verkaufen sie auch welche
  • Lokale DDR-Museen: Das DDR-Museum in Schwepnitz hat nicht nur Ausstellungsstücke, sondern manchmal auch Verkaufsgläser
  • superfest-leipzig.de: Diese Firma in Leipzig vertreibt noch originale Restbestände

Die Preise haben es allerdings in sich: Einzelgläser kosten heute zwischen 15 und 40 Euro, Sets können über 100 Euro kosten. Das ist ein weiter Weg von den ursprünglichen Pfennigbeträgen zu DDR-Zeiten.

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Was uns das heute lehrt

Die Geschichte der SUPERFEST-Gläser ist mehr als nur eine Anekdote über DDR-Technik. Sie zeigt uns, wie fundamental unterschiedlich Ansprüche an Produkte sein können, je nachdem in welchem System wir leben.

In der DDR stand Nachhaltigkeit im Vordergrund – nicht aus ökologischem Bewusstsein, sondern aus der Not heraus. Das Ergebnis war ein Produkt, das seiner Zeit voraus war. Heute, wo Nachhaltigkeit wieder wichtig wird, wirken die SUPERFEST-Gläser fast wie ein Statement gegen unsere Wegwerfgesellschaft.

Dass die Technologie heute durch Unternehmen wie Soulbottles eine zweite Chance bekommt, zeigt: Manchmal braucht eine gute Idee nur den richtigen Zeitpunkt. Was damals als „zu gut für den Markt“ galt, wird heute als nachhaltige Innovation gefeiert.

Genau solche Erkenntnisse machen das Reisen so wertvoll. Nur wenn wir uns auf fremde Orte und Menschen einlassen, oder einfach mal wieder unsere Heimat besuchen, verstehen wir, dass unsere Art zu denken und zu leben nicht die einzige ist. Ein unscheinbares Glas in einer Thüringer Dorfkneipe kann uns mehr über Geschichte und Gesellschaft lehren als mancher Geschichtsunterricht.

Wenn ihr das nächste Mal durch Ostdeutschland reist, haltet die Augen offen. Vielleicht entdeckt ihr nicht nur ein faszinierendes Mitbringsel, sondern lernt auch etwas über die Menschen, die aus Mangel Innovation machten – und deren Gläser heute noch unsere überdauern.

Na dann: Prost auf die unzerstörbaren Relikte aus einer anderen Zeit!


Transparenz-Hinweis: Wir haben selbst schon SUPERFEST-Gläser gesammelt und können bestätigen – sie sind tatsächlich nahezu unzerstörbar. Perfekt für den nächsten Campingtrip. Außerdem: Wir haben Soulbottles hier aus freien Stücken erwähnt, da wir Fans sind. Wir stehen im Moment der Veröffentlichung nicht mit Soulbottles in Verbindung – waren aber schon früher Fans.

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Superfest ↩︎
  2. https://www.tag24.de/sachsen/bis-zu-25-euro-das-stueck-superfest-glaeser-aus-schwepnitz-sind-noch-heute-der-renner-1731136 ↩︎
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Superfest ↩︎
  4. https://www.berliner-kurier.de/berlin/erinnern-sie-sich-noch-an-diese-ddr-glaeser-superfest-und-fast-unzerbrechlich-li.341771 ↩︎
  5. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/ddr-alltag-erfindung-superfestglas-106.html ↩︎
  6. https://www.glas.uni-bayreuth.de/de/news/2023/strongbottle_launch/index.html ↩︎

Titelbild: AI generated content.

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