Als wir zum letzten Mal in Norditalien waren, ist uns etwas Bemerkenswertes aufgefallen: Das Land, wenn auch nicht unbedingt für sein Sozialsystem bekannt, ist verblüffend inklusiv gegenüber Menschen mit Behinderung und werdenden Müttern.
Auch das ReisenStattRasen-Team gehört dazu, auch wenn wir keine Mobilitätseinschränkung haben. Dennoch möchten wir mit euch teilen, was uns besonders positiv aufgefallen ist – und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt.
Barrierefreie Mobilität in Venedig für Menschen mit Behinderung und mit Mobilitätseinschränkungen
Die Überschrift ist bewusst präzise gewählt, denn in Venedig wird ein klarer Unterschied gemacht zwischen Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis und einem GdB über 50 und Rollstuhlnutzer*innen.
Das Parkhaus Tronchetto: Kostenloses Parken mit Behindertenausweis
Nicht unbedingt ein Geheimtipp, aber unsere beste Erfahrung in Venedig war das Parkhaus Tronchetto. Hier sind die Regelungen transparent (auf Anfrage per Mail für uns erläutert):
Wer einen Parkausweis für Menschen mit Behinderung aus seinem Heimatland hat, muss diesen gut sichtbar in der Windschutzscheibe auslegen und darf so einen der gekennzeichneten posti auto per disabili nutzen.
Wer diesen Ausweis nicht hat, kann jeden anderen Parkplatz im Parkhaus nutzen.
Der große Vorteil für alle mit einem Schwerbehindertenausweis und einem GdB über 50: Bei einem Aufenthalt von unter 12 Stunden ist das Parken kostenlos. Bei der Bezahlung geht man mit diesem Behindertenausweis, dem Fahrzeugschein und einem Lichtbildausweis des Fahrers(Fahrzeughalters (bzw. der Person mit Behinderung, falls sie Beifahrer*in ist) zur personell-besetzten Kasse. Dort muss man ein bisschen Papierkram ausfüllen, alle Dokumente werden kopiert und schon wird der Parkschein entwertet (der ansonsten 29€ kosten würde). Achtung: Diese Regelung gilt nicht bei Online-Buchungen.
Übrigens haben wir grundsätzlich die Erfahrung gemacht, dass es in Italien total Sinn macht, vorab per Mail zu fragen. Dann wir einem erklärt, wie man an seinen Rabatt kommt und welche Dokumente man braucht. Außerdem bekommt man sehr schnell Antwort und hinter den Mailadressen befinden sich augenscheinlich echte Menschen. Nachfragen lohnt sich also.
Vom Parkplatz in die Stadt: Vaporetto und People-Mover
Tronchetto liegt vor der Stadt Venedig, genauer gesagt auf einem künstlichen Damm direkt hinter der Ponte della Libertà – einfach der Beschilderung folgen. Von dort aus gibt es zwei Möglichkeiten, in die Stadt zu gelangen:
Der People-Mover, eine autonome Seilbahn auf Stelzen, die in 5 Minuten genau zwei Stationen zurücklegt und einen zur Piazzale Roma bringt. Oder die Vaporetti (Singular: Vaporetto), sogenannte Wassertaxis oder Bus-Schiffe, die einem Verkehrsnetz aus mehreren Linien folgen. Linie 2 bringt euch von Tronchetto direkt zu den großen Sehenswürdigkeiten. Linie 1 fährt zu exakt denselben Plätzen, hält dabei aber ungefähr alle 200 Meter und braucht deshalb länger.
Achtung Touristenfalle: Private Ticketanbieter meiden
Wenn es euch wie uns geht, werdet ihr auf dem Weg vom Parkhaus von einem offiziell aussehenden Mann in Uniform angesprochen und zu den Ticketschaltern gelotst. Seid hier wachsam: Uns führte er zu einem Privatunternehmen, das uns doppelt so viel gekostet hätte wie die offizielle Verbindung und keine ermäßigten Tarife für Menschen mit Behinderung anbot. Nutzt deshalb nur Services, die von diesen beiden Marken angeboten werden:


Die Herausforderung: Vaporetto-Tickets für Menschen mit Behinderung
In Venedig kostet eine Vaporettofahrt für 75 Minuten regulär 9,50€. Für Menschen mit Behinderung ohne ausgewiesene Mobilitätseinschränkung gilt derselbe Preis. Für Rollstuhlnutzer*innen (ja, genau so steht es in den Regeln) kostet eine Fahrt nur 1,50€ und eine Begleitperson darf kostenlos mitfahren.
Die Schwierigkeit: Ermäßigte Tickets gibt es ausschließlich an personell besetzten Schaltern. Diese gibt es aber nicht am Parkhaus Tronchetto, sondern nur an der Piazzale Roma. Ihr müsst es also entweder mit dem People-Mover in die Stadt schaffen (ich erinnere mich nicht mehr genau, ob es dort einen Aufzug gab, eine Rolltreppe war auf jeden Fall vorhanden) oder jemand muss für euch vorausfahren und das Ticket lösen – ein Hindernis, das nicht sonderlich durchdacht ist.
Habt ihr keine Mobilitätseinschränkung, könnt ihr den People-Mover überspringen und direkt ein Vaporetto nehmen. Ihr zahlt ohnehin den vollen Preis und das Ticket lässt sich auch am Automaten lösen. Solltet ihr übrigens mehr als drei Fahrten planen, lohnt sich das Tagesticket für 25€.

Venedig: Eine Stadt voller Stufen und Brücken
Darauf gekommen, diesen Artikel zu schreiben, bin ich, weil ich Venedig zwar als Stadt der Brücken abgespeichert hatte, mir aber völlig unklar war, dass ein Großteil dieser Brücken nur über Stufen zu erreichen ist.
Gefunden habe ich deshalb diese barrierefreie Karte der Stadt Venedig (leider das letzte Mal 2017 aktualisiert, aber baulich hat sich in Venedig gefühlt schon seit über 100 Jahren nichts mehr getan): Auf der offiziellen Seite der Kommune Venedig.
Die Mappa Venezia Accessibile zeigt das Zentrum und die Inseln der Stadt mit farbcodierten Bereichen: Grün markiert die mit Vaporetto erreichbaren Bereiche, hellgrün die Zonen, die mit Motorbooten oder über „erleichterte“ Brücken zugänglich sind, und weiß kennzeichnet Gebiete, die nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Auf der Rückseite der Karte finden sich praktische Informationen zu Informationsstellen, Verkehrsknotenpunkten (Bahnhof, Flughafen, Seehafen), Parkplätzen, Haltestellen des öffentlichen Schiffsverkehrs, barrierefreien Toiletten und rollstuhlgerechten Brücken.

Kostenloser Museumseintritt für Menschen mit Behinderung
Ein Großteil der venezianischen Standardattraktionen gewährt Menschen mit Behinderung freien Eintritt und spendiert auch der Begleitperson ein Ticket. Unsicher ist die Handhabung bei Behinderungen ohne ausgewiesene Mobilitätseinschränkungen oder Rollstuhl. Wir haben es nicht ausprobiert, aber die Erfahrung gemacht, dass man in Italien (außer beim Vaporetto) meist keinen Unterschied macht. Hier lohnt es sich auf jeden Fall, nachzufragen.
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Diese Museen und Sehenswürdigkeiten bieten kostenlosen Eintritt:
Städtische Museen (Musei Civici): Dogenpalast, Correr Museum, Archäologisches Museum, Biblioteca Marciana, Uhrenturm, Ca‘ Rezzonico, Mocenigo Museum, Casa di Carlo Goldoni, Ca‘ Pesaro, Fortuny Museum, Glasmuseum Murano, Spitzenmuseum Burano, Naturhistorisches Museum.
Staatliche Museen: Gallerie dell’Accademia, Ca‘ d’Oro, Museum für orientalische Kunst, Palazzo Grimani
Markusdom: Kostenloser Eintritt über die Porta dei Fiori (kleine Piazza mit den zwei Löwen, Piazzetta dei Leoni)
Private Museen: Peggy Guggenheim Collection
Bei allen Museen muss an der Kasse ein offizielles Dokument vorgelegt werden, das die Behinderung bestätigt.

Der Europäische Behindertenausweis: Die Zukunft des barrierefreien Reisens
Angeblich akzeptieren nicht alle Einrichtungen den deutschen, grünen Schwerbehindertenausweis. Ich sage angeblich, weil wir diese Erfahrung nie gemacht haben (in keinem Land), euch aber darauf hinweisen möchten, dass es schon seit einigen Jahren das Projekt des europäischen Behindertenausweises gibt: In Italien läuft bereits seit fast 10 Jahren eine Pilotphase, daher ist er dort weithin bekannt – bei uns startet er später, mit dem europaweiten Rollout. Ab dann empfehlen wir, diesen für Auslandsreisen zu nutzen, da es dann keine Zweifel mehr gibt.
Der Europäische Behindertenausweis (European Disability Card) wird voraussichtlich am 5. Juni 2028 in allen EU-Ländern eingeführt. Diese dunkel- und hellblaue Karte im Kreditkartenformat wird zweisprachig (Englisch und Landessprache) gestaltet sein und sowohl in physischer als auch digitaler Form kostenlos ausgestellt. Der Ausweis gilt für Kurzaufenthalte bis zu drei Monaten und ermöglicht Menschen mit Behinderung europaweit die gleichen Sonderkonditionen wie Einheimischen – von freiem Eintritt in Museen über ermäßigte Verkehrstarife bis hin zur kostenlosen Mitnahme von Begleitpersonen. Acht EU-Länder, darunter Italien, führen bereits seit 2016 erfolgreich eine Pilotphase durch, weshalb der Ausweis dort bereits bekannt und akzeptiert ist. Ab 2028 macht dieser EU-weite Ausweis das Reisen mit Behinderung erheblich unkomplizierter.
Fazit: Venedig ist eine Reise wert – trotz Hindernissen
Ja, Venedig ist mit seinen unzähligen Brücken und Stufen eine Herausforderung für die Barrierefreiheit. Und ja, das Ticketsystem für das Vaporetto könnte deutlich nutzerfreundlicher gestaltet sein. Dennoch zeigt unsere Erfahrung: Mit der richtigen Vorbereitung und den Informationen aus diesem Guide lässt sich die Lagunenstadt auch mit Behinderung wunderbar erleben.
Die kostenlosen Parkmöglichkeiten, der freie Eintritt in die wichtigsten Museen und Sehenswürdigkeiten und die allgemein positive Einstellung der Italiener gegenüber Menschen mit Behinderung machen vieles wieder wett. Venedig bemüht sich – auch wenn noch nicht alles perfekt ist. Und genau das macht diese Stadt so authentisch: Sie zeigt, dass Inklusion ein Prozess ist, keine abgeschlossene Aufgabe.
Also: Plant eure Reise, nutzt die barrierefreie Karte, fragt nach, wenn etwas unklar ist – und genießt diese einzigartige Stadt. Denn am Ende sind es nicht nur die Sehenswürdigkeiten, die Venedig besonders machen, sondern die Erfahrung, dass Reisen für alle möglich sein sollte und kann.
Ein kleines Extra: Nützliche italienische Vokabeln und Redewendungen für Menschen mit Behinderung
Ein kleiner Sprachführer kann im Urlaub Gold wert sein – besonders, wenn es um barrierefreies Reisen geht. Hier sind die wichtigsten italienischen Begriffe und Sätze, die euch bei eurer Venedig-Reise helfen können:
Grundlegende Höflichkeitsformen
- Permesso = Entschuldigung/Darf ich vorbei?
- Mi scusi = Entschuldigen Sie (höflich)
- Grazie mille = Vielen Dank
- Prego = Bitte schön/Gern geschehen
- Mi può aiutare? = Können Sie mir helfen?
- Non parlo italiano = Ich spreche kein Italienisch
- Parla inglese/tedesco? = Sprechen Sie Englisch/Deutsch?
Barrierefreiheit und Mobilität
- accessibilità = Barrierefreiheit
- senza barriere = barrierefrei
- persona con disabilità = Person mit Behinderung
- carrozzina = Rollstuhl (korrekte Bezeichnung)
- mobilità ridotta = eingeschränkte Mobilität
- accompagnatore = Begleitperson
- rampa = Rampe
- ascensore = Aufzug
- servizi igienici accessibili = barrierefreie Toiletten
Im Verkehr und bei Sehenswürdigkeiten
- biglietto ridotto = ermäßigtes Ticket
- ingresso gratuito = kostenloser Eintritt
- posto riservato = reservierter Platz
- fermata accessibile = barrierefreie Haltestelle
- Dov’è la fermata del vaporetto? = Wo ist die Vaporetto-Haltestelle?
- Questo posto è accessibile? = Ist dieser Ort barrierefrei?
- C’è un ascensore? = Gibt es einen Aufzug?
- Posso entrare gratis con il mio documento di disabilità? = Kann ich mit meinem Behindertenausweis kostenlos eintreten?
Im Restaurant und Hotel
- tavolo accessibile = barrierefreier Tisch
- C’è un bagno per disabili? = Gibt es eine Behindertentoilette?
- Camera accessibile = barrierefreies Zimmer
- Al piano terra = im Erdgeschoss
- Possiamo avere un tavolo senza gradini? = Können wir einen Tisch ohne Stufen haben?
Nützliche Notfallausdrücke
- Aiuto! = Hilfe!
- Ho bisogno di aiuto = Ich brauche Hilfe
- Chiamate un medico = Rufen Sie einen Arzt
- Dov’è l’ospedale più vicino? = Wo ist das nächste Krankenhaus?
- Non riesco a muovermi = Ich kann mich nicht bewegen
- Mi fa male qui = Es tut hier weh
Höfliche Bitten und Fragen
- Potrebbe aiutarmi, per favore? = Könnten Sie mir bitte helfen?
- È possibile avere assistenza? = Ist es möglich, Hilfe zu bekommen?
- C’è un ingresso alternativo? = Gibt es einen alternativen Eingang?
- Dove posso parcheggiare con il contrassegno disabili? = Wo kann ich mit dem Behindertenparkausweis parken?
- Questo servizio è incluso? = Ist dieser Service inbegriffen?
Wichtige Schilder und Hinweise verstehen
- vietato l’accesso = Zutritt verboten
- aperto/chiuso = geöffnet/geschlossen
- ingresso/uscita = Eingang/Ausgang
- informazioni = Informationen
- biglietteria = Ticketschalter
- posto auto per disabili = Behindertenparkplatz
Tipp: Ladet euch eine Übersetzer-App auf euer Smartphone und speichert diese wichtigsten Sätze offline ab. Die meisten Italiener sind sehr hilfsbereit und geduldig, wenn sie merken, dass ihr euch bemüht, ihre Sprache zu sprechen – auch wenn es nur ein paar Worte sind!
Mit diesen grundlegenden italienischen Vokabeln seid ihr gut gerüstet für euren barrierefreien Venedig-Urlaub. Die italienische Gastfreundschaft und ein paar freundliche Worte in der Landessprache öffnen oft mehr Türen, als man denkt!